Der Weg der Wirtschaft führt Unternehmer:innen weit über die eigenen Staatsgrenzen hinaus und bringt Menschen aus verschiedenen Kulturen an einen Verhandlungstisch. Juristin und Verhandlungsexpertin Dr. Raluca Ionescu präsentiert in ihrem Gastbeitrag 6 Grundregeln für das erfolgreiche Verhandeln im interkulturellen Kontext.

Man könnte annehmen, die Sprache des Geschäftes sei universell, denn alle Akteur:innen haben das gleiche Ziel: Ihr Geschäft weiterzuentwickeln und wachsen zu lassen – und dies funktioniert nur über Kooperationen.

Das stimmt wohl. Und dennoch können sprachliche und kulturelle Unterschiede derart gravierende Auswirkungen haben, dass viele Verhandlungsgespräche daran scheitern – gute Geschäfte gehen dadurch verloren und vielversprechende Beziehungen auch.

Als Juristin und Verhandlungsexpertin habe ich viele Situationen erlebt, in denen auch erfahrene Geschäftsführer:innen, Verkäufer:innen und Expert:innen kulturelle Aspekte in Verhandlungen vernachlässigt haben – und ihr Ziel nicht erreichten.

Daher gebe ich Ihnen gerne diese 6 Grundregeln des Verhandelns im interkulturellen Kontext mit auf den Weg. Je früher Sie diese im Verhandlungsprozess beachten, desto mehr werden Sie am Ende gewinnen.

6 Grundregeln für das erfolgreiche Verhandeln im interkulturellen Kontext


1.
Bias und Verallgemeinerungen in Bezug auf die Herkunft der Teilnehmenden können irreführend sein.

Wir alle kennen die Clichées: Das eine Volk genießt den Wein am liebsten mit Käse, das andere Volk löscht seinen Durst lieber mit Bier und für die dritten gehört der „5 o’clock tea“ fix zum täglichen Ritual dazu. Wie einfach! Und wie ungenau. (Ja, sogar oft beleidigend, weil regionale Unterschiede außer Acht gelassen werden).

Anstatt von vorgefertigten Meinungen auszugehen und falsch damit zu liegen, nehmen Sie den sicheren Weg: Im Verhandlungsprozess behalten Sie den Kopf frei von Denkmustern. Seien Sie offen und achtsam. Dies hilft Ihnen, auf jeden Stakeholder einzugehen, seine Interessen zu verstehen und konstruktiv bei der Sache zu bleiben.

Ich weiß, es ist nicht einfach, aber es ist ein entscheidender erster Schritt zum Erfolg in internationalen Verhandlungen.

Grundregel 1: Der Verhandlungstisch bleibt biasfrei.

2. Missverständnisse liegen nicht nur an Sprachen, sondern auch an kulturellen Unterschieden.

Nicht mal eine gemeinsame Sprache schützt vor Missverständnissen. Warum? Weil wir manchmal unterschiedliche Sichtweisen zu denselben Begriffen haben. Umso mehr trifft es zu, wenn sich Menschen aus verschiedenen Kulturen miteinander unterhalten.

So kann das Wort „Zinsen“ eine andere Bedeutung für Sie als für Ihr Gegenüber haben. Definieren Sie genau, in welchen Situationen, wie hoch, ab wann, bis wann und wie Zinsen berechnet und bezahlt werden müssen.

Grundregel 2: Definieren Sie relevante Begriffe lieber früher als später.

3. Zeit ist relativ.

Dies stellte nicht nur Einstein fest, sondern auch manche:r Käufer:in, der/die auf die bestellten Waren wartete und wartete. Bis er/sie lernte, dass „zeitnah“ für seine/ihre ausländischen Lieferant:innen 2 Wochen bedeutet und nicht 3 Tage, wie es in seiner/ihrer Heimatregion üblich ist.

Grundregel 3: Klären Sie den Zeitrahmen und die Konditionen der Zusammenarbeit vorab.

4. Mehrere Sprachen am Verhandlungstisch – Fehlinterpretationen sind vorprogrammiert.

Für viele Verträge wird gesetzlich keine bestimmte Form vorgegeben. Somit können Rechte und Pflichten für die Parteien im Tun entstehen. Ungenauigkeiten und Fehlinterpretationen treten unweigerlich auf und verursachen Schaden und Verluste.

Meine Empfehlung: Lassen Sie Vereinbarungen/Protokolle schriftlich verfassen, und zwar in einer Referenzsprache, d. h. in einer Sprache, die von allen Parteien als Sprache der Kommunikation akzeptiert wurde. Dies kann eine neutrale Sprache sein oder die Sprache einer der verhandelnden Parteien.

Grundregel 4: Mehrere Sprachen am Verhandlungstisch – eine Sprache auf dem Papier.

5. Körpersprache sagt manchmal mehr als tausend Worte – vor allem in interkulturellen Verhandlungen.

Kulturell bedingt hat dieselbe Geste unterschiedliche Bedeutungen. Z.B der direkte Augenkontakt ist im Europa-Raum ein Zeichen der Ehrlichkeit und des Vertrauens, während es in Asien und im Arabischen Raum mit Skepsis betrachtet wird. Ein resoluter Handschlag, eine feste Umarmung signalisieren freundschaftliche Nähe in einem bestimmten Umfeld oder können bedrohlich in einem anderen Umfeld wirken.

Grundregel 5: Machen Sie Ihre Hausaufgaben vor jeder Verhandlung: Erkundigen Sie sich über die ungeschriebenen Regeln der Kommunikation und des Benehmens, bevor Sie den Verhandlungsraum betreten.

6. „Es ist schon die dritte Verhandlungsrunde und wir verstehen uns gut, trotz unterschiedlicher Kulturen. Dennoch kommen wir nicht weiter, wie gewünscht.“

… beschwerte sich kürzlich ein Klient bei mir im Verhandlungscoaching. Es gibt mehrere mögliche Ursachen, warum die Ergebnisse auf sich warten lassen.

In manchen Kulturen werden manche Themen nicht gleich angesprochen. Oder diese Themen werden einfach im Gespräch anders formuliert, als man gewohnt ist, es zu hören und zu verstehen.

Grundregel 6: Im interkulturellen Kontext ist die Verhandlungssprache eine Sprache für sich. Nur wer sie richtig lernt, wird als Gewinner aus der Verhandlung gehen.

Gastautorin Dr. Raluca Ionescu, MA, ist Juristin mit umfassender Verhandlungsexpertise, Wirtschaftspsychologin, Dozentin und Gründerin von www.growmind.at.

Im WIFI Wien bietet die Expertin firmeninterne Trainings zum Thema (internationale) Verhandlungsführung in Deutsch, Englisch und Rumänisch an.

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