Besondere Situation benötigen besondere Vorgehensweisen. In ihrem Gastbeitrag beleuchten Christian G. Majer und Gerald Aschbacher die Methode Objectives & Key-Results (OKR) kritisch im Lichte der Covid-19 Krise und orientieren sich dabei an den vier Kernelement der Strategy Sprints: Strategie – Fokus – Bewertung – Rhythmus.

Strategie: Perfektion ist jetzt nicht gefragt

Unter Strategie versteht man üblicherweise die Analyse über die künftige Positionierung und Ausrichtung eines Unternehmens. Also die Frage „Wo will ich hin“? Und weiters: „Wie komme ich dort hin“? In der derzeitigen Krise sind beide Fragen schwierig oder kaum zu beantworten. Entscheidungen, die nicht entschieden werden können, müssen von uns entschieden werden. Im Sinne von Heinz von Foersters müssen wir genau jene Fragen entscheiden, wo sich keine Lösungen aus logisch-rationalem Kalkül ergeben. Im Falle der Ungewissheit müssen wir Annahmen treffen, Hypothesen erstellen, Plausibilitäten abklären. Langwierige detaillierte Strategie-Findungen haben jetzt keinen Platz. Viele der bisherigen Auffassungen und „Wahrheiten“ müssen einfach verworfen werden. Es gilt, schnell neue Geschäftsmodelle zu erfinden, neue Services oder andere Produkte zu entwickeln und Prozesse umgehend anzupassen oder neu zu schaffen. Es geht jetzt nicht um Perfektion. Es geht ums Überleben und Neuausrichten. As good as possible oder eben Pareto-optimal. Mit 20% des Aufwands eine 80% gute Lösung zu finden oder Wirkung zu erzielen. Schnelligkeit und Kreativität sind gefragt.

Fokus: Weniger ist mehr

Wenn die Richtung noch nicht klar und der Weg ungewiss ist, empfiehlt es sich, „auf Sicht zu fahren“. Kurze, überschaubare Etappen von zwei bis drei Wochen zu planen. Dafür sind auf Basis der vorläufigen, oder sagen wir Adhoc-Strategie, Subziele (Meilensteine) festzulegen, die konkrete Ergebnisse liefern sollen. Also möglichst viele MVPs – Minimal Viable Products – überlebensfähige Produkte, die zumindest die Minimalanforderungen der KundInnen bzw. des Marktes abdecken. Es empfiehlt sich, möglichst kleine Projekte und Vorhaben mit kurzer Durchlaufzeit zu starten: Tiny Houses und keine Wolkenkratzer, einfache Lösungen und nicht die Alles-berücksichtigenden-Super-Lösungen (full-flashed solutions). Improvisieren und Provisorien schaffen. Nun geht es um: So wenig wie möglich und nur so viel wie nötig. Die Situation mag sich schnell ändern bis zum Ende einer Etappe, der Nebel lichtet sich, dafür ziehen neue Ungewissheiten auf. Es gilt die Konzentration aufs Wesentliche: Maximal fünf Ziele (Objectives) mit maximal drei bis vier Key Results für die Zielerreichung definieren. Sicherstellen, dass alle die OKRs verstanden haben und mittragen. Trotz Ungewissheit und Kontingenz. Ja, natürlich könnte man es auch ganz anders machen und ja, man könnte auch immer alternative Wege einschlagen. Aber wir oder eben die Geschäftsführung haben jetzt so entschieden und daher: Los geht’s – full speed.

Bewertung: Kritische Standortbestimmung in kurzen Abständen

Wenn man im Ungewissen und vernebelten Raum unterwegs ist, empfiehlt es sich, öfter kurz innezuhalten und kritisch zu reflektieren, die aktuelle Situation zu bewerten. Haben wir unsere angestrebten Key-Results erreicht? Zeigen diese die gewünschten Wirkungen, vielleicht auch nur in zarten Ansätzen? Und vor allem: Stimmt unsere Marschrichtung noch, sind die strategischen Ziele noch passend? Darüber hinaus ist auch die Vorgehensweise zu hinterfragen. Stimmen unsere Annahmen seit dem letzten Mal noch? Was hat sich geändert? Was wissen wir jetzt neu? Was müssen wir verwerfen?

Rhythmus: Das Tempo kann hoch sein, muss aber machbar bleiben

Auch für die außergewöhnlichsten Leistungen – sei es ein Marathon oder Ironman – braucht es Kontinuität und Gelassenheit bei der Umsetzung. In der Ruhe liegt die Kraft. Die Führung ist hier gefordert, diese auszustrahlen, quasi als Pace-Maker. Zügig und zielorientiert, aber sich dabei nicht kopflos verausgabend. Die vorhandenen Ressourcen müssen gut eingeteilt und genutzt werden, um das Tempo auch länger durchhalten zu können. Wenn man schon ins kalte Wasser geworfen wurde und aus der Not heraus schwimmen gelernt hat, sollte man tunlichst vermeiden, auf halber Distanz aufgrund von Erschöpfung unterzugehen.

Quick-Tipps – Schnelle Checkliste

Strategie

  • Überlebens-Modus first (Taktik)
  • Neuerfinden (für das Bestehen nach der Krise)
  • Kritisches Review von Services, Produkten, Prozessen (beibehalten, adaptieren, anders/neu denken)

Fokus

  • Nicht perfekt – Good enough to try
  • Mut zur Lücke
  • Glaube an die Etappenziele (next steps)

Bewertung

  • Lernen aus dem Bisherigen als Überlebenschance
  • Teilen von Erfahrungen/Vertrauen
  • Wertschätzendes, aber auch kritisches Feedback

Rhythmus

  • Tempo so einteilen, dass alle mitkönnen
  • Kritischer Firmen/Personal-Check (Haben wir die richtigen Leute on Board bzw. bin ich als MitarbeiterIn bei der passenden Firma?)
  • Geben und Nehmen – Fordern/Fördern

Krisen sind ungeplante und ungewollte Phasen. Diskontinuitäten eben, die auch die Chance bergen, Ballast abzuwerfen und sich strukturell zu erneuern. Nicht-Entscheiden ist auch eine Entscheidung. Wer sich nicht verändert, wird verändert. Evolution ist die permanente Weiterentwicklung in Richtung höhere Komplexität. Wenn wir die Entwicklung schon nicht stoppen können, so lasst uns Schmetterlinge werden und das Raupenstadium ablegen.

Gastautor Dr. Christian Majer ist Leiter des majer-rejam The Performance Institute und Organisationsberater sowie Coach für integrierte Management-Systeme.
Gastautor DI (FH) Gerald Aschbacher, MSc, ist Systemischer Berater, Trainer, zertifizierter Projektmanager und Prozessmanager.
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