Ein weiser Großvater erzählt seinem Enkel eines Abends am Feuer von einem Kampf, der sich manchmal in ihm abspielt: „In meinem Herzen ist es dann, als ob zwei Wölfe miteinander kämpfen. Der eine ist dunkel, voller Gier, Bosheit und Wut. Der andere ist hell. Er steht für Verständnis, Zuversicht, Geduld und Frieden.“ Der Enkel schaut den Alten gespannt an: „Und welcher Wolf wird gewinnen?“ fragt er. Der Großvater blickt ihm ruhig in die Augen und antwortet: „Der, den ich füttere.“
(Autor unbekannt – alte Indianerweisheit)
Und welchen Wolf füttern Sie?
So stärken Sie Ihre Resilienzfähigkeit
Die WHO hat Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Über 80 % der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum leiden subjektiv zumindest gelegentlich unter Stress. Ein Drittel berichtet, häufig oder ständig Überlastungen ohne ausreichend Bewältigungsstrategien ausgesetzt zu sein. Die Diplom-Lebensberaterin Beate Kolouch im Interview darüber, was heute vermehrt zu Stress führt, welche Rolle die psychische Widerstandskraft spielt und wie wir die Resilienz trainieren können.
Warum steigt heute augenscheinlich der Stress in unserem (Arbeits-)Leben an?
Beate Kolouch: Es hängt wohl viel damit zusammen, dass wir uns in volatilen Zeiten bewegen. Die Schnelllebigkeit, zahlreiche Reize, die uns heute stärker fordern, sowie die zunehmende Komplexität und Unsicherheit führt zu erhöhtem Stress. Besonders gefährdend ist der lang anhaltende Stress, aus dem man nicht mehr herausfindet. Zusätzlich ist unser Wertesystem von Leistungsdruck und dem Streben nach schier unerreichbaren Zielen geprägt. Höher, schneller, weiter, mehr wird vor das eigene Wohlbefinden, Gelassenheit und Selbstfürsorge gestellt. In anderen Kulturen wird beispielsweise der Planbarkeit und Effizienz nicht so viel Wert beigemessen, dort leben die Menschen entspannter. Wir wollen maximale Sicherheit und Kontrolle. Die gibt es aber nicht. Vorstellung und Realität klaffen auseinander. Wir werden laufend enttäuscht und hetzen weiter einem Ideal hinterher, das uns mehr Energie raubt als spendet. Hinzu kommt, dass wir heute Stress bereits so gewohnt sind, dass wir zwischen positivem und für uns hinderlichem Stress nicht mehr klar unterscheiden können. Stress wurde salonfähig. Es gehört quasi zum guten Ton, gestresst zu sein.
Wie macht sich Stress bemerkbar?
Beate Kolouch: Stress ist eine Reaktion auf etwas, was unser Organismus als Bedrohung wahrnimmt. Es zeigt sich eine gewisse Anspannung, Überforderung, Gereiztheit, innerer Widerstand, Zerfahrenheit. Doch was wir als „stressig“ empfinden, ist individuell sehr unterschiedlich. Leider haben wir heute zunehmend verlernt, auf unsere körperlichen und innerpsychischen Stresssymptome zu achten und auf Signale rechtzeitig zu reagieren. Mit zunehmendem Stresslevel und anhaltender Dauer wird der Nebel darum immer dichter. Die ersten Symptome sind oft allgemein und unklar. Unser Körper hat glücklicherweise ganz gute Fähigkeiten, Stress und dadurch entstehendes Ungleichgewicht selbstständig und rasch wieder zu regulieren. Hart wird es immer dann, wenn wir längere Zeit größeren Belastungen ausgesetzt sind, aus denen wir nicht aussteigen können. Das Ausbrennen bis hin zur Erschöpfung ist ein längerer Prozess. Oft zeigt sich Lustlosigkeit, Müdigkeit und Antriebslosigkeit oder Appetitlosigkeit. Später kommen immer mehr chronische Erschöpfungserscheinungen und körperliche Symptome dazu und unser Immunsystem wird geschwächt. Wer bemerkt, dass er häufiger krank wird, der Körper streikt, wenn man ins Wochenende oder in den Urlaub geht, sollte hellhörig werden. Das signalisiert, dass der Organismus zu viel Energie verbraucht und den Ausgleich selbst nicht mehr herstellen kann. Ein guter Tipp ist: Nehmen Sie Feedback Ihres sozialen Umfelds unbedingt ernst. Von außen ist der Stress oft klarer wahrnehmbar.
Es gibt ja den schönen Spruch: Stress entsteht dort, wo man immer allen anderen alles recht machen will. Inwiefern stimmen Sie dem zu?
Beate Kolouch: Stressoren sind Faktoren oder Reize, die unseren Körper in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen. Alle Sinnesreize, die auf uns einwirken, können als belastend empfunden werden. Ob wir etwas als belastend erleben, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein kleiner Teil ist Veranlagung. Unseren Fähigkeiten, den Erfahrungen, dem Erlernten und Anerzogenen kommt eine besonders hohe Bedeutung zu. Wir legen uns für Stresssituationen schon früh Bewältigungsstrategien zurecht, die aber im späteren Leben nicht mehr so zielführend sind. Bei uns sind sie dann bereits gewohnte Muster, die den Handlungsspielraum für das Erlernen neuer Strategien blockieren. Es gibt Menschen, die prinzipiell besser mit Belastungssituationen umgehen bzw. schneller wieder ins Gleichgewicht finden können. Aus meiner Sicht trifft der Stress, der überfordert, eher diejenigen, die über einen langen Zeitraum Dinge tun, die sich nicht tun wollen, sich in einer Abhängigkeit befinden, die ungesund ist, bzw. die sehr fremdbestimmt sind und nicht gut gelernt haben, auf ihre Bedürfnisse zu hören, und vielleicht sogar Ziele verfolgen, die nicht ihre eigenen sind.
Das Gute ist, egal, wo man hier steht: Die Resilienzfähigkeit ist trainierbar und kann verbessert werden. Die ersten Schritte sind, zu wissen, wo man selbst steht, und Bewusstsein dafür zu bekommen, dass man sich mit ein wenig Training das Leben leichter gestalten kann.
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Beate Kolouch ist Diplom-Lebensberaterin, akad. Supervisorin und u.a. Lehrgangsleiterin und Trainerin im Rahmen der Ausbildung zum/zur Lebens- und Sozialberater/-in am WIFI Wien.
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