Herr Dr. Majer, wie steht es derzeit in Unternehmen um das Thema Projektmanagement?
Bewusstsein für Projekte ist in vielen Organisationen vorhanden. Dennoch sind die Hälfte der Projekte, die ich im Rahmen von Seminaren kennenlerne, oft keine Projekte im eigentlichen Sinn, sondern eher repetitive Vorhaben. Die Neuartigkeit der Aufgabe, die hohe Dynamik und Komplexität sind es vor allem, die Projekte ausmachen. Nicht jedes Problem, nicht jedes Thema ist ein Projekt. Wo ich noch Defizite und Missverständnisse orte, das ist bei Projektauftraggebern/-innen. Hier sollte das gemeinsame Verständnis, die Bereitschaft zur Kooperation und zur partnerschaftlichen Zielerreichung in den Vordergrund rücken. Es geht darum, dass sich Auftraggeber/-in und Projektleitung in der strategischen und operativen Verantwortung gegenseitig unterstützen. Also weg von einer reinen Kontrollfunktion hin zur aktiven Mitarbeit – auch auf Seiten der Auftraggeber- und Führungsebene.
Wie kann das Verständnis für Projekte auf der Führungsebene gestärkt werden?
Werden Projekte bereits in der Strategieentwicklung definiert und sichtbar gemacht sowie ein Projektportfolio erarbeitet, erleichtert das die Akzeptanz bei den Führungskräften. Besonders interne Projekte bieten auch die Chance, Bereichsziele zu erreichen. Eine Möglichkeit, die nicht immer mitgedacht wird, die jedoch Führungskräften den Nutzen aufzeigt und motiviert, dem Thema Projekt gegenüber offener zu sein.
In einem Ihrer Artikel beschreiben Sie Projektmanagement als „organisierten Hausverstand mit der richtigen Dosis Gefühl“. Das klingt relativ einfach. Warum scheitern Projekte eigentlich?
Projekte haben Abenteuercharakter. Es geht darum, gemeinsam etwas Neues zu schaffen oder aufzubauen, unbekanntes Terrain zu betreten, in neuen Konstellationen zusammenzuarbeiten. Ein wesentlicher Faktor für das Gelingen eines Projektes ist ein sauberer Start, noch bevor es in die inhaltlichen Details geht. Zeitmangel bei Projektstart kann weitreichende Folgen haben. Alle rennen los, aber in unterschiedliche Richtungen. Wichtig ist auch, ein gemeinsames Verständnis über die Ziele des Projekts herzustellen, zu klären, wie Entscheidungen getroffen werden und wie die Kommunikation abläuft – kurz gesagt: eine Projektkultur zu schaffen.
Worin liegen die Herausforderungen im Führen von Projektteams?
Die Herausforderung besteht zum einen darin, die Teammitglieder für die Projektziele zu begeistern und auf die Reise ins Unbekannte mitzunehmen. Weiters muss sich in diesem neuen Team ein Wir-Gefühl entwickeln und Vertrauen entstehen. Eine gute Projektleitung findet auch die richtige Mischung aus Direktive und Empowerment – wie viel Führung braucht das Team, damit es sich nicht alleingelassen fühlt, und wie viel Freiraum braucht es, um Potenziale zu entfalten?
Welche Kompetenzen sollte eine Projektleitung auf jeden Fall mitbringen?
Die Projektleitung braucht eine gute Mischung aus sozialer, methodischer und fachlicher Kompetenz. Bewusst in dieser Reihenfolge. Unter sozialer Kompetenz verstehe ich vor allem Leadership-Skills. Also die Fähigkeit, mit Ungewissheit, Konflikten und Erwartungsdruck umgehen zu können und lösungsorientiert zu agieren – dies meist ohne großartige Machtbasen, also eine spezielle Form von lateralem Führen. Mit einem autoritären Führungsstil wird es in Projekten schwierig, da die Akzeptanz des Teams wichtig ist.
Mit welchen Anforderungen hat man in dieser Rolle noch zu rechnen?
Als Projektleiter/-in darf ich mir keinen Standard-Tagesablauf erwarten. Die Arbeit mit Menschen, mit Diversität, erfordert ein hohes Maß an Kreativität und Kommunikationsfähigkeit. In vielen Fällen ist die Projektleitung nicht nur formell, sondern auch praktisch Teil des Teams. Sie ist also Führungskraft und Mitarbeiter/-in in einer Person. Ein hohes Maß an Resilienz, Ambivalenz- und Konfliktfähigkeit ist also gefragt, ebenso wie die Kenntnis von Coaching-Methoden und Selbstmanagement. Aber: So anspruchsvoll die Rolle ist, Projektmanagement ist auch eine Chance, eine andere Art der Arbeit auszuprobieren, temporär Führungsaufgaben zu übernehmen und so Kompetenzen für die weitere Karriere zu erwerben.
Wo sehen Sie derzeit die Trends im Projektmanagement?
Die Trends, die ich sehe, sind verknüpft mit den Schlagworten Flexibilität, Virtualität, laterales Führen und Empowerment. Ich beobachte auch einen zunehmenden Erfolgs- und Zeitdruck sowie die Notwendigkeit, noch flexibler auf die dynamische Welt und die Änderungen von Stakeholder-Erwartungen reagieren zu können. Projektteams werden außerdem bunter und vielfältiger. Diversität wird damit zum Normalfall.