Hier erfahren Sie von Dr. Michael Hirt, welche Strategien, Taktiken und Best-Practices Sie anwenden können, um sich und Ihr Unternehmen sicher durch die Coronavirus-Krise zu führen.

1. AUS DER VERÄNDERUNG EINE CHANCE MACHEN

Krisenartige Situationen und Bedrohungen können zu fatalen, emotionalen Fehlreaktionen führen.

Ein Beispiel dafür sind Brandungsrückströme, auch Rippströmungen genannt, lokal begrenzte Meeresströmungen, die an Küsten vorkommen und mit 80%, die häufigste Ursache für tödliche Badeunfälle am Meer darstellen. Unerfahrene Schwimmer neigen dazu, panisch gegen die Strömung, in Richtung Festland anzuschwimmen und ertrinken dann vor lauter Erschöpfung. Die sinnvolle Taktik: quer zur Strömung ins ruhigere Wasser hinausschwimmen und dann seitlich versetzt zurückschwimmen.

Die aktuelle Situation weist Ähnlichkeiten mit diesem Phänomen auf. Wichtig ist, die Situation jetzt richtig zu verstehen und aus der Veränderung eine Chance zu machen.

A. Zwei Hauptziele parallel verfolgen

Sie haben zwei Hauptziele, die parallel zu verfolgen sind:

  • Bremsen“: Den Weiterbestand Ihres Unternehmens zu sichern. Aber das reicht nicht, man darf nicht nur passiv werden und versuchen, lediglich Geld zu sparen
  • Gas geben“: Erfolgreich und gestärkt aus der Krise zu kommen, in dem Sie die Chancen wahrnehmen, die sich jetzt bieten

B. Wo wird weiterhin erfolgreich gearbeitet?

In jeder Situation gibt es Marktsegmente und Industrien, die eine gute Konjunktur haben und gut funktionieren und weiterarbeiten. Primär sollte man sich jetzt auf diese Industrien konzentrieren (z.B. Nahrungsmittelindustrie, Lebensmitteleinzelhandel, um nur die ersten zu nennen, die sofort in den Sinn kommen, aber da gibt es noch viele mehr, z.B. Telekom und Software für Kooperation, etc.).

C. Erster Fokus auf bestehende Kunden

Wichtig ist, den ersten Fokus auf bestehende Kunden zu legen, um diese in dieser Situation zu unterstützen und möglicherweise sogar Marktanteile gegenüber marginaleren oder schwächeren/kleineren Wettbewerbern zu gewinnen. Man hat bei bestehenden Kunden (hoffentlich) bereits gute Arbeit erbracht, gute Beziehungen zu den Entscheidern und kennt deren Bedürfnisse.

D. Neue Kunden in der Krise gewinnen?

Die Akquisition von neuen Kunden, mit denen man noch keine Beziehung hat, gelingt jetzt nur mit großer Marketingpower, außergewöhnlich wertvollen Technologien/Lösungen und starker Marke.

Als starker Anbieter kann man aber möglicherweise, in dieser Situation, neue Kunden gewinnen, oder sogar die Beziehungen in jene Branchen ausdehnen und stärken, welche am wenigsten betroffen sind, bzw. durch Corona eine Sonderkonjunktur haben.

E. Neue Delivery-Modelle

Die Delivery-Modelle müssen allerdings, in beiden Fällen, möglicherweise umgestellt werden, z.B. virtuelle Meetings, Video Calls, Simulationen, etc. Wenn möglich, sollte man neue, maßgeschneiderte Angebote entwickeln, die auf die jetzigen Anforderungen angepasst sind und auf guten Hypothesen beruhen.

F. Den Rebound unterstützen

Jeder muss sich auf den schnellen Rebound nach der Krise, bereits während der Krise vorbereiten – wie stark werde ich zurückkommen? Wenn man überlebt, zählt letztendlich nur die relative Performance im Vergleich zum Wettbewerb. Wichtig ist, sich vom Brandungsrückstrom nicht auf die falsche Spur bringen zu lassen.

2. WEITERBESTAND DES UNTERNEHMENS SICHERN

A. Analyse des Status Quo

Starten Sie mit einer schnellen SWOT-Analyse:

  • Wo sind Ihre Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken?
  • In vier Bereichen:
    • Management & Führung
    • Strategie & Geschäftsmodell
    • Operatives Geschäft
      • Umsatz
      • Kosten
    • Ertrag & Liquidität

Wo sind Ihre Kernherausforderungen und damit die wichtigsten Handlungsfelder?

B. Liquidität sichern

Welchen Liquiditätsbedarf haben Sie? Liquiditätsbedarf entsteht aus 3 Quellen:

  • Kunden, z.B.:
    • Offene Posten
    • Oder Kunden erhalten weiterhin Leistung, aber zahlen eventuell nicht
    • Zahlungserinnerungen sofort versenden, Vorauszahlung erwägen, mit Entscheidern in Kontakt treten, nicht mit der Buchhaltung oder Einkauf herumdiskutieren
  • Lieferanten, z.B.:
    • Bis wann muss ich meine Lieferanten bezahlen, kann ein Aufschub vereinbart werden, um die eigene Liquidität zu optimieren?
  • Unternehmen: Was sind meine Unternehmensausgaben? z.B.:
    • Gibt es Mitarbeiter, die ich abbauen kann?
    • Kann ich interne Projekte ggf. zurückstellen oder stoppen und dafür andere Projekte verstärken und doppelte Energie hineinstecken?
    • Welche Ausgaben kann ich zurückstellen?
    • Welche staatliche Unterstützung möchte man gegebenenfalls in Anspruch nehmen?
    • Ist Kurzarbeit eine sinnvolle Option?
    • Welche Ausgaben werden vielleicht steigen (z.B. IT, Kommunikation, Legal)?
    • Wie wirkt sich die Situation auf meine Kernprozesse aus?
    • Kann ich meine Leistungserbringung ändern (z.B. virtuell), um weiterhin Umsätze zu generieren?

Dabei muss man bedenken, dass es auch einen Rebound geben muss, d.h. wenn man alles stoppt, dann kann es sein, dass die Wettbewerber, einem Marktanteile wegnehmen.

C. Für den Manager persönlich

Für den Manager persönlich: auch private Liquidität sichern und Vorsorge betreiben:

  • Emergency Fund: mind. sechs Monate Ausgaben für den Lebensunterhalt
  • Als Vorsichtsmaßnahme: Bargeldreserve zu Hause lagern, Fluchtmappe mit allen wichtigen Unterlagen (Geburtsurkunden, Vollmachten, Kaufverträge von Immobilien, etc.)
  • Finanzmärkte: gute Gelegenheit zum günstigen Nachkaufen für die Altersvorsorge. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Märkte immer wieder steigen, wenn man eine langfristige Perspektive von 20-30 Jahren hat. Verkaufen ist jetzt typischerweise keine gute Idee, damit kristallisieren Sie nur Ihre Verluste

D. Unternehmen in den Krisenmodus umschalten

Umschalten des Unternehmens in den Krisenmodus: Wie das Unternehmen seine interne Arbeitsweise ändert, z.B.:

  • Täglicher Liquiditätscheck & Liquiditätsprognose
  • Tägliche Kommunikation und Abstimmung im Geschäftsführungsteam (Früh und Abend)
  • Information an Gesellschafter, Aufsichtsrat, etc.
  • Gesetzliche Handlungspflichten der Geschäftsführung aus Insolvenzrecht etc. (Zahlungsunfähigkeit?) beachten, hohes persönliches Haftungsrisiko beachten
  • Aktuelle und erwartete Geschäftsentwicklung im Auge behalten. Wenn Entwicklung hinter Plan bleibt, dann ist die Geschäftsführung verpflichtet, einen notwendigen Handlungsbedarf festzustellen und zu handeln, unter Umständen, z.B. wenn die Hälfte des Nennkapitals aufgebraucht ist, Gesellschafterversammlung einberufen
  • Cash-Pooling kann unter Umständen zu einem Problem werden, wenn man es falsch handhabt (erzeugt Haftungen wegen potentiell illegaler Einlagenrückgewähr)
  • Laufende Dokumentation des Status, der Planung und der getroffenen Entscheidungen, samt Begründung für den Fall etwaiger Haftungsforderungen/-verfahren
  • Sparsamkeit: Kosten auf ein Minimum senken, sowohl privat, als auch in der Firma
  • Kontakt mit der/den Hausbank/en
    • Falls notwendig, Betriebsmittelrahmen ausdehnen und Förderungen/Garantien beantragen. Achtung, die Bank kann ein Bottleneck sein
    • Wie krisenfest sind meine Finanzierungen? Unter welchen Bedingungen kann die Bank meine Finanzierungen aus außerordentlichen Gründen kündigen?

Arbeiten Sie unter einem pessimistischen Szenario, d.h. gehen Sie davon aus, dass es relativ lange dauern wird, bis wir wieder in den „Normalbetrieb“ kommen.

E. Handlungsfähigkeit sichern

Das „Response & Integration Team“

Als erstes sollte ein „Response & Integration Team“ (RIT) gebildet werden:

  • Kernteam, das sich täglich abstimmt
  • Typischerweise C-Level-Manager + eine Person, die einen vernünftigen medizinischen Input geben kann + eine Person für Projektkoordination, damit der C-Level von der operativen Tätigkeit entlastet ist + idealerweise auch eine Person, die von Szenarioplanung etwas versteht
  • Aufgaben:
    • Die einzige Quelle für Entscheidungen und Informationswahrheit sein
    • Sicherstellen, dass genug Ressourcen dort sind, wo sie gebraucht werden
    • Portfolio an Maßnahmen koordinieren
    • Einen Workstream über alle Teams aufteilen, der auf Szenarios und auslösenden Momenten beruht

Infrastruktur sicherstellen

Infrastruktur sicherstellen, Business Continuity-Plan in Kraft setzen:

  • Compliance-konforme Kommunikation zwischen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und Kunden muss sichergestellt werden
  • Austausch von Dateien, der standortunabhängig ist (Cloud) muss gewährleistet sein
  • Plattform, über welche Sie sich mit Kunden und Mitarbeitern austauschen können, muss bereitgestellt werden

Falls Betrieb fortgesetzt wird: Hinweis auf weiteren Betrieb an Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter.

Schutz der Mitarbeiterschaft & Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit

  • Wie schütze ich meine Mitarbeiter?
  • Wie kommuniziere ich mit meinen Mitarbeitern?
  • Wie halte ich den Betrieb und die Handlungsfähigkeit aufrecht?
  • Abstimmung mit dem Betriebsrat
  • Issue Maps, Response Plans & Policies erstellen: Wie verhält man sich, wenn bestimmte Situationen eintreten? Z.B.:
    • „Mir fällt auf, dass ein Kollege krank sein könnte“
    • „Ein Familienmitglied eines Mitarbeiters ist krank“
    • „Ein Mitarbeiter in einer Produktionslinie wurde positiv getestet und war mit mindestens 20 anderen Mitarbeitern in Kontakt“
    • „Zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte werden alle kritischen Funktionen durch Mitarbeiter vom Home-Office aus betrieben“
    • 60 % der Mitarbeiter sind im Krankenstand“
    • „Der CEO und der CFO haben beide Krankheitssymptome“
    • etc.

Stabilisierung der Supply Chain

  • Wie habe ich meine Lieferkette unter Kontrolle?
  • Welche Bereiche meiner Supply Chain einschl. Tier 1-, Tier 2-, Tier-3-Supplier sind im roten Bereich?
  • Wie hoch sind die Lagerbestände?
  • Brauche ich gegebenenfalls einen Ersatzlieferanten?
  • Für strategisch wichtige Produkte, zentrale Rationierung der Materialien einführen
  • Eine zentrale Stelle muss das Lager steuern, ansonsten kann das zu Problemen zwischen Profit Centern führen

Kundenbindung

Jetzt ist eine gute Gelegenheit, die Beziehungen mit den Kunden durch gute Kommunikation und Zuverlässigkeit zu vertiefen. Seien Sie für ihre Kunden da.

  • Wie bleibe ich weiter mit meinen Kunden in Kontakt?
  • Kommunikation mit B2B Customer: eigener Website, auf der sich diese informieren können
  • Persönliche Kommunikation mit den Kunden auf der richtigen Senioritätsebene
  • Entsprechende Mitarbeiter schulen, damit diese die richtige Kommunikation inhaltlich weitergeben, um keine Verwirrung beim Kunden entstehen zu lassen

Financial Stress Testing

CFO muss mit einem Team Szenarien entwickeln, welche Auswirkungen die Krise auf den Finanzstatus des Unternehmens haben könnte, um darauf aufbauend, verschiedene Pläne entwickeln zu können.

Die Situation ist auch eine große kulturelle Herausforderung, weil sich die Art zu arbeiten in großen Unternehmen verändert. Es ist viel mehr Kreativität und Flexibilität gefordert. Ein entsprechender Rahmen ist notwendig und muss vom Top-Management gegeben werden.

Selbstführung des Managers / der Managerin

  • Wichtig ist es, gesund zu bleiben und sich als Schlüsselperson nicht verrückt machen zu lassen
  • Disziplin, Ruhe und verhaltenen Optimismus ausstrahlen
  • Gute Gewohnheiten und Rituale einhalten: Schlaf, Ernährung und Bewegung haben jetzt eine besonders wichtige Rolle
  • Empathie zeigen
  • Transparent kommunizieren
  • Zügig, aber trotzdem überlegt entscheiden

Den Überblick bewahren

Was könnten die nächsten, was die übernächsten Probleme und Herausforderungen sein?

Absicherung für weitere Verschlechterung der Lage oder zusätzliche Probleme, insbesondere Ausfall der Geschäftsführung:

  • Notfallhandbuch: Was passiert, wenn Ihnen als Führungsperson etwas passiert?
  • Wo sind die wichtigen Unterlagen, Vollmachten, etc., damit jemand das Unternehmen bevollmächtigt weiterführen kann?
  • Gibt es eine vorsorgliche Geschäftsführerbestellung, wer kennt die Passwörter, wer kann eventuelle Kundenkontakte und -kommunikation übernehmen und wer ist über etwaige mündliche Vereinbarungen mit Lieferanten informiert? Etc.
  • Dazu gibt es eine eigene Checkliste von Michael Hirt: schreiben Sie bitte an m@hirtandfriends.at, um diese zu erhalten

F. Die Zeit danach

Denken Sie jetzt darüber nach: Nach der Krise wird es nicht so weitergehen, wie davor. Was wird der „New Normal“ sein? Ist in mancher Hinsicht vielleicht gar nicht einmal so schlecht, z.B. Home-Office und virtuelle Arbeit werden jetzt selbstverständlich.

3. UMSATZ SICHERN & CHANCEN WAHRNEHMEN

A. Bestehende Projekte und Kunden absichern

Sofort mit Entscheidern Kontakt aufnehmen. Feststellen, was passiert ist: Wie ist die Situation beim Kunden?

Chance, durch neue Arbeitsmethoden in eine neue Art der Zusammenarbeit mit Kunden zu kommen (neue Virtual Delivery-Modelle).

Kunden haben meist nicht die Nerven zu sagen, was sie jetzt genau brauchen. Sie müssen selbst proaktiv auf diese zugehen und beispielsweise fragen: „Wäre es für sie hilfreich, wenn …? (mit sinnvollen Hypothesen, wie Sie hilfreich sein können).

Neue Kunden bzw. Projekte u.U. nur mit 100% Vorauszahlung oder zumindest 50% Anzahlung.

B. Neue Produkte & Dienstleistungen für neue Zeiten entwickeln

Jetzt besteht die Gelegenheit, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.

Neue Produkte und Dienstleistungen haben wahrscheinlich nur eine Chance bei bestehenden Kunden, außer Sie haben eine sehr starke Brand.

Unternehmen, die bis jetzt zaghaft waren bei der Umsetzung von virtueller Arbeit, werden sehen, dass es jetzt funktionieren muss, und es wird auch funktionieren.

4. FÜR DIE ZUKUNFT PLANEN

A. Achtung: Es wird länger dauern

Stellen Sie sich darauf ein, dass die Situation länger andauern wird. Danach gibt es ein New Normal. Wir müssen das New Normal akzeptieren und uns agil auf das Neue einstellen.

B. Neustart/Relaunch/Rebirth vorbereiten

Überlegen Sie sich jetzt: Wie wird der Neustart aussehen, wie kann ich mich mit einem Relaunch neu am Markt positionieren?

C. Kompetenten Support haben

Wichtig ist auch, dass man eine persönliche, emotionale und kompetente Support-Struktur hat, damit nicht die gesamte Last auf einen selber oder auf die Menschen im unmittelbaren Umfeld zurückfällt.

WIFI Management
Forum Seminar:
Strategie-
entwicklung
für die Praxis

Dr. Michael Hirt, MBA ist Gründer der innovativen Managementberatung HIRT&FRIENDS. Schwerpunkte: Strategie, Organisation & Change Management Performance. Davor bei Boston Consulting Group (BCG) in Wien und München, der ÖIAG in Wien und HSBC Investment Bank in London. Zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zu Strategie und Management.

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