Für den Trainingskongress 2023 machen die beiden Lehrpreisträgerinnen der Hochschule Fresenius Dr. Veronika Sweet und Dr. Astrid Dobmeier einen Abstecher zu uns nach Wien. Wir wollten von den beiden wissen, was „lehrnen“ mit h heißen soll, was hinter dem Framework steckt und was Teilnehmer:innen beim Trainingskongress konkret lernen, pardon lehrnen, wenn sie zu den beiden Expertinnen in den Workshop kommen.

Was bedeutet „lehrnen“ mit „h“?

Das ist eine Wortneuschöpfung, die uns sehr logisch scheint und abbildet, wie wir tun, was wir tun. Bei uns werden die Lernenden zu Lehrenden – und umgekehrt. Ein Wechselspiel auf Augenhöhe. Wir verstehen uns eher als Kuratorinnen und Prozessbegleitende denn als Lehrerinnen. Frontalbeschallung gibt es nur in kleinen Input-Dosen. Und auch kein Bewerten von oben herab. Vielmehr Neugier für das Gegenüber und dessen Lerninteresse und ein Menschenbild, das davon ausgeht, dass der- oder diejenige bereits viele Lösungen und Strategien in sich trägt. Auch wenn er oder sie etwas Spezielles, Neues, Komplexes lernen möchte.

Wofür wurden Sie mit dem Lehrpreis ausgezeichnet?

Komplexen Sachverhalten begegnen wir mit sogenannten „Lehrn-Hoops“. Dabei setzen wir auf zirkuläres Lernen – auftrags-, kompetenz- und entwicklungsorientiert. Wir sind im April 2022 für vier Semester Corona-Lehre ausgezeichnet worden. Wir liebten es schon immer, online zu arbeiten, in der Pandemie konnten wir an die Lebensrealitäten unserer Studierenden endlich adäquat anknüpfen. Und unsere systemisch-gruppendynamischen Kenntnisse haben uns geholfen zu verstehen, was die Lernenden in der anspruchsvollen Zeit brauchen, um gut lernen zu können.

Und was brauchen Lernende in anspruchsvollen Zeiten?

Kontakt, Dialograum, Nähe. Wir sind überzeugt, dass sich das Klima in der Welt im Allgemeinen und im Miteinander im Speziellen verbessern würde, wenn wir lernen würden, auch online echten Kontakt aufzubauen. Als Ergänzung würzen wir unsere Lehrnreisen immer mit Stationen an besonderen Orten, gerne im öffentlichen Raum. In Kategorien heißt das, wir wurden ausgezeichnet für: Didaktik, Digitale Komponente, Zukunftsorientierung, Interdisziplinaritätsfähigkeit und Partizipationsgrad. Und wir haben den Preis via Social Media unseren Studierenden gewidmet – was auf LinkedIn ein großes Echo hervorgerufen hat.

Was sagen Ihre Teilnehmenden typischerweise über Ihre Veranstaltungen?

Da zitieren wir gerne eine ehemalige Teilnehmerin. Sie meinte: „Ich habe bisherige Vorlesungen überwiegend ohne anfänglichen Kontaktaufbau erlebt. Am Anfang steht meistens eine alleinige Vorstellung der Lehrperson und der Veranstaltung in einem Monolog, meistens auch eine kurze aber langweilige Vorstellung der Lernenden, meist wenig kreativ… Name, Studiengang, Herkunft… das kam eher als schnelles Abhaken der Formalia an, aber nicht aus Interesse. Oft hatte ich den Eindruck, keiner will Zeit verlieren, man fängt sofort mit dem Inhalt an. Nur selten wird Wert darauf gelegt, entspannt anzuleiten, erstmal „warm zu werden“ und eine gute Atmosphäre zu schaffen. Es herrscht eine große Distanz zwischen den beiden Parteien. Das war bei Veronika und Astrid anders. Am Anfang war das sehr irritierend, am Ende habe ich erst begriffen, wie wertvoll das war. Was auch anders ist: Oft gibt es sonst kein Eingehen auf die Lernenden, oft sind es unbewegliche Inhalte, die vermittelt werden.“

Was erwartet die Teilnehmenden nun am 11.5., wenn sie sich bei Ihnen zum Workshop anmelden?

Erst einmal müssen sie mit einer sogenannten „Erwartungsenttäuschung“ rechnen. Es gibt wenig Input von „vorne“, viel Miteinander, Impulse, Fragen – und Output, der nachwirkt. Man kann sich unsere gemeinsame Zeit wie den Ausschnitt eines Einstiegs in eine Seminarreihe vorstellen. Wir legen Wert auf unsere ersten drei Hoops: Wir bieten an, 50 Minuten in lehrnen [sic!] einzutauchen. Das bedeutet, es warten Interaktion, Dialog und Reflexion auf die Teilnehmenden. Genau so, wie wir lehrnen.

Was sollten die Teilnehmenden noch wissen?

Dass sie aktiv dabei sein werden. Mit Kamera, mit Ton, mit sich selbst und allen Sinnesorganen. Dass Lehrnen Mut auf beiden Seiten erfordert und die Grenzen verschwimmen.

Was ist der Inhalt der drei Hoops?

Step 1: Jedes Modul oder jede Vorlesung beginnt mit der Frage: Was braucht es, um am Ende sagen zu können, dass es ein wertvolles Lernen war? Neben der Vorbereitung und Choreographie-Arbeit reflektieren wir: Wie können wir uns bestmöglich vorbereiten auf das, worauf wir uns nicht vorbereiten können? Gruppendynamisches Erfahrungswissen hilft uns dabei.

Step 2: Mit achtsamer Kommunikation schaffen wir Kontakt, von Anfang an. Ein Erwartungsabgleich zu Beginn erzeugt Orientierung und Sinn. Am Ende erkennt jede:r für sich einen Nutzen, die Motivation für selbstständiges Lernen steigt.

Step 3: Wir schaffen Raum für Dialog, um Erlerntes zu verankern. Die Form des „Lehrn-Tandems“ sehen wir als Weiterbildung der Zukunft: Wir Lehrende lernen voneinander. Erkenntnisse halten wir in Form eines agilen Skripts fest.

Am Ende geben wir dann noch Einblick in Gestaltungsmöglichkeiten von Choreografien und Ablauf.

Wie geht es mit „Lehrnen“ weiter?

Nach diesem Modell lehren wir seit vielen Jahren, sowohl digital als auch analog. Seit dem Lehrpreis ist das Interesse so groß, dass wir darauf reagieren und unser Wissen weitergeben. Unser Framework spiegelt für uns den Grundsatz Systemischer Lehre wider und ist für uns sehr deutlich ein relevanter Bestandteil der Zukunftsfähigkeit von Lehrinstitutionen. Lernende möchten keine Frontalbeschallung mehr. Lernende wollen wahrgenommen werden in ihren Lebensrealitäten. Wir sind 2023 auf unserer ersten Tour und machen bei unterschiedlichen Gelegenheiten Station. In einem nächsten Schritt teilen wir unsere Erkenntnisse öffentlich und arbeiten an einer wissenschaftlichen Einordnung im Rahmen von Scholarship of Teaching und Learning.

Worin sehen Sie generell den Nutzen in „Lehrnen“?

Unser Framework ist interdisziplinär anwendbar und ist eine Weiterentwicklung, die auf Grundsätzen Systemischen Lehrens fußt. Lehrnen stellt somit einen relevanten Bestandteil der Zukunftsfähigkeit von Lehrenden und ihren Institutionen dar. Online und on-site. Insbesondere im Tandem. Wir erkunden mit Interessierten, wie sie innovatives #lehrnen didaktisch, digital und Disziplinen-übergreifend gestalten können.

 

Vielen Dank!

Dr. Astrid Dobmeier ist Kommunikationswissenschaftlerin und Systemische Transformationsbegleiterin. Dr. Veronika Sweet ist Doctor of Business Administration (DBA), Systemische Organisationsentwicklerin und Change Managerin. Beide sind Lehrende an Hochschulen und in der systemischen Weiterbildung – alleine, im Tandem, online und offline. Beim Trainingskongress 2023 sind die beiden mit dem Workshop Lernen+Lehren = Lehrnen [sic]: Lehrnen.online: Systemischen Grundhaltungen auf der Spur mit dabei.

Bildcredits: © tomertu/Stock.adobe.com (Titelbild), © Simone Naumann (Foto Sweet), © Kathrin Stetter (Foto Dobmeier).