Fachkräfte- und generell Personalmangel sind die größte Herausforderung auch beim Thema Weiterbildung

Österreichs Unternehmer:innen blicken der wirtschaftlichen Situation mit deutlich mehr Skepsis und Sorge entgegen als noch vor einem Jahr. Sieben von zehn Unternehmen (71%) melden Probleme bei der Besetzung offener Stellen. Für 47% ist das sogar sehr schwierig. Damit ist der Personalmangel nicht nur das größte Hemmnis für das heimische Wirtschaftswachstum, sondern auch für die Weiterbildung. Das zeigt die repräsentative IMAS-Umfrage „Weiterbildungsbarometer 2022“ im Auftrag des WIFI der Wirtschaftskammer Österreich.

„Laut AMS-Schätzungen gibt es derzeit rund 300.000 offene Stellen, die nicht besetzt werden können, weil qualifiziertes Personal fehlt. Dieser Mangel an Arbeitskräften wird zur stärksten Bremse für eine florierende Wirtschaft“, bringt Markus Raml, Kurator des WIFI Österreich, die Problematik auf den Punkt. Wie die aktuelle IMAS-Umfrage deutlich macht, findet diese Schieflage auch ihren Niederschlag in der wirtschaftlichen Stimmung: Gegenüber dem Vorjahr ist die Zuversicht der Unternehmer:innen um fast 20 Prozentpunkte gesunken und liegt etwa auf dem Niveau der Frühphase der Pandemie.

Chancen nutzen durch Weiterbildung

Die Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung wirken sich natürlich auch auf die innerbetrieblichen Weiterbildungen aus: Für über ein Viertel der österreichischen Unternehmer:innen zählen der Personal- und Fachkräftemangel zu den größten Herausforderungen im Bereich Weiterbildung und Weiterentwicklung. Gleichzeitig erreicht die Bedeutung des berufsbegleitenden Lernens ein Rekordniveau − von Unternehmensseite bewerten 91% die Fortbildung ihrer Mitarbeiter:innen als wichtig. Umso größer sind aktuell die beruflichen Chancen, wie Markus Raml anmerkt: „Wer sein Know-how und seine fachlichen Fertigkeiten jetzt durch eine maßgeschneiderte Weiterbildung erweitert, kann im Arbeitsmarkt rasch entscheidende Karriereschritte setzen.“

Weiterbildung muss Normalität werden

„Österreich muss sich an den Besten orientieren. Künftig werden nämlich jene Standorte, die Arbeitskräfte-Engpässe am besten bewältigen können, die Nase vorne haben. Weiterbildung ist dafür ein wichtiger Schlüssel“, sagt Mariana Kühnel, zuständige Generalsekretärin in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Während in Ländern wie Schweden oder Finnland laut Eurostat jede/r Dritte in den vergangenen vier Wochen eine Weiterbildung absolviert hat, ist es in Österreich nur jede/r Siebente. „Weiterbildung muss auch bei uns zur Normalität werden. Wir müssen diese in den beruflichen Alltag integrieren und alle Kanäle zum Wissenserwerb bestmöglich ausschöpfen, aber auch über Anreizmodelle nachdenken.“ Andere Länder sind bereits in die Offensive gegangen: Deutschland will zur „Weiterbildungsrepublik“ werden und hat als Incentives Förderungen für fortbildungswillige Bürger:innen aufgestockt. Auch die Schweiz investiert 100 Mio. Schweizer Franken in die Übernahme von Weiterbildungskosten.

An Vorschlägen mangelt es nicht: Mögliche Anreize wären eine ausgeweitete steuerliche Absetzbarkeit für alle berufsbezogenen Weiterbildungen oder eine Bildungsprämie für Unternehmen. Der Sozialpartner-Vorschlag eines Bildungskontos steht sogar im Regierungsprogramm 2020 bis 2024, erinnert Kühnel. Der Zeitpunkt sei ideal, denn viele neue „Skills“ werden nötig sein, um die Transformation der Wirtschaft – Stichworte Digitalisierung und Energiewende – zu schaffen.

„Bildung geht uns alle an. Sie bringt Stabilität in unser Leben und sichert Unternehmen und Arbeitsplätze. Gerade in Zeiten, die von Krisen und Veränderung geprägt sind – denken wir an Pandemie, Krieg, Klima- und Energiekrise, Inflation und Teuerung – ist Weiterbildung das Gebot der Stunde und Antwort auf den raschen gesellschaftlichen Wandel. Berufsbegleitendes Lernen hat für Unternehmer:innen und Arbeitnehmer:innen den höchsten Stellenwert seit je“, sagt Christian Faymann, Leiter des WIFI Wien.

Motive und Hindernisse in der Weiterbildung

Unter Österreichs Erwerbstätigen stufen 87% die Bedeutung lebensbegleitenden Lernens als wichtig ein. Die persönliche Umsetzung hinkt demgegenüber etwas hinterher, liegt allerdings seit Jahren beständig auf hohem Niveau. Hauptmotive für berufliche Weiterbildung sind die Vorgabe durch die Geschäftsführung (22%), persönliches Interesse (16%), die berufliche Erforderlichkeit (15%), Aufstiegschancen (13%) und die Erweiterung der Fachkompetenz (11%). Stärkste Hindernisgründe sind laut dem Weiterbildungsbarometer 2022 in der fehlenden Notwendigkeit (47%) und Erforderlichkeit (41%) einer Fortbildung angesiedelt. 37% geben an, grundsätzlich kein Interesse zu haben. Bemerkenswert ist der Anstieg beim Faktor Zeitmangel gegenüber 2021: Zusammengerechnet 54% der Befragten führen beruflichen Stress oder fehlende Zeit im Privatbereich als Hindernis für eine Weiterbildung an (2021: 37%).

Digitale Lernformate sind gekommen, um zu bleiben

Die Pandemie hat den Digitalisierungs-Trend in der Arbeitswelt massiv beschleunigt, mit der Folge, dass heute andere Schlüsselkompetenzen als noch vor wenigen Jahren gefragt sind. „Die Weiterbildungsangebote der WIFIs kommen den rasanten Veränderungen der Arbeitswelt nicht nur mit top-aktuellen und höchst gefragten Inhalten entgegen, sondern auch mit maßgeschneiderten Bildungsformaten“, so Tatjana Baborek, Institutsleiterin WIFI Österreich. „Das digitale Lernen und insbesondere die flexiblen Lernformate, wie die Blended Learning-Variante, die das Beste aus Präsenz- und Online-Lernen verbindet, sind eindeutig gekommen, um zu bleiben.“ Das belegen auch die Umfrageergebnisse des jüngsten Weiterbildungsbarometers: Über 50% der Erwerbstätigen sind grundsätzlich bereit, digitale Weiterbildungsangebote zu nutzen, bei den Unternehmer:innen sind es sogar knapp 60%. Nach wie vor setzten Erwerbstätige in der beruflichen Aus- und Weiterbildung vermehrt auf Präsenz-Seminare: „Der persönliche Austausch mit Trainer:innen und anderen Lernenden steht für viele derzeit wieder hoch im Kurs, aber die Flexibilität von den digitalen Lernformaten haben alle zu schätzen gelernt.“ Im Schnitt ein Drittel der Erwerbstätigen und Unternehmer:innen präferieren hybride Formen aus Online und Präsenz. Reine Online-Angebote erhalten von Unternehmensseite deutlich mehr Zuspruch (34%) als von Seiten der Erwerbstätigen (13%).

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