Börsenkurse werden nicht nur von harten Fakten wie Unternehmensdaten oder volkswirtschaftlichen Entwicklungen beeinflusst. Auch Emotionen und Erwartungen spielen eine Rolle. Worauf man bei Finanzentscheidungen achten sollte, erklärt Mag. Birgit Bruckner, Psychologin und geprüfte Börsenhändlerin, im Interview.

Mit Ausbruch der Corona-Pandemie haben viele begonnen, auch über ihre Finanzsituation nachzudenken. Gepaart mit den Niedrigzinsen am Sparbuch wagt man sich vermehrt an das Thema Börse und Wertpapierveranlagung heran. Wie wichtig ist es, sich vorab ein klares Anlageziel zu setzen und konsequent einen Vermögensaufbauplan zu verfolgen?

Birgit Bruckner: Das Anlageziel ist essenziell. Ich vergleiche es gerne mit der Urlaubsplanung. Stellen Sie sich vor, Sie planen dieses Jahr einen Urlaub in Europa zu machen – Ende der Planung. Was kann das mögliche Ergebnis sein? Sie machen Urlaub zu Hause und damit Urlaub in Europa. Vielleicht nicht jener Urlaub, von dem Sie ursprünglich geträumt haben. Vergleichbar ist es bei der Geldanlage. „Altersvorsorge“ ist ein Schlagwort und kein Anlageziel. Nur, wenn Sie wissen, was Ihr Ziel in der Geldanlage ist, können Sie zielorientiert planen und bessere Anlageentscheidungen treffen. Andernfalls investieren Sie, ohne zu wissen, wo Sie landen möchten.

Hinsichtlich der Anlageplanung ein wichtiger Tipp: Ein Plan alleine ist ergebnislos, es braucht auch die Umsetzung. Ist unsere Erfahrung in der Geldanlage noch am Anfang, trauen wir uns oft nicht in die Umsetzung zu kommen. Dabei ist es entscheidend, die ersten Schritte zu machen und nicht perfekte erste Schritte. Der perfekte Vermögensaufbauplan ohne praktische Erfahrung ist Teil der Traumwelt. Fangen Sie an mit ersten kleinen Investments. Lernen Sie den Kapitalmarkt kennen und lernen Sie sich und Ihr Verhalten bei Kapitalmarktentscheidungen kennen. Verfeinern Sie über die Zeit Ihren Plan und überprüfen Sie jährlich die Gültigkeit Ihrer Anlageziele.

Kurz gesagt: Geldanlage ist ein Zusammenspiel zwischen Planung, Umsetzung und Anpassung.

Wir leben in einer hochtechnisierten Welt, in der es eine Fülle an Informationen praktisch auf Knopfdruck gibt. Das gilt auch für die Finanzwelt. Wenn alle Informationen verfügbar sind, was bewegt die Preise bzw. Kurse an den Märkten? Sind das ausschließlich harte Fakten?

Würden ausschließlich harte Fakten zählen, wäre Geldanlage eines der langweiligsten Dinge der Welt. Die klassische Kapitalmarkttheorie geht davon aus, dass, wenn alle Informationen verfügbar sind, der Wertpapierkurs den fairen Wert abbildet. Ein kurzer Blick auf die internationalen Märkte reicht und wir sehen: So ist es nicht. Vielmehr spiegeln die Preise von Anlageobjekten die Erwartungen der AnlegerInnen in den Wert der Zukunft wider. Diese Werterwartungen können auf Projektionen aktueller Unternehmens- und Marktentwicklungen aufbauen, auf aktuellen Fakten basieren oder losgelöst von jeglicher Evidenz sein.

Das Ergebnis der Geldanlage können wir nicht zu 100 % steuern. Anlageentscheidungen sind stets Entscheidungen in eine ungewisse Zukunft. Auf Basis aktueller Informationen, auf Basis unserer Erwartungen und Hoffnungen bilden wir unsere Meinung von dem, was kommt. Der Faktor Ungewissheit wirkt auf das Anlageergebnis als wahrgenommenes Glück oder Pech. Für mich heißt erfolgreiche Geldanlage, den Anteil der eigenen Entscheidungen in der Geldanlage bewusst zu nutzen und den Einfluss des Faktors Ungewissheit über die Breite der Investments und die Zeit zu steuern.

Auch der Umgang mit Geld wird durch Emotionen begleitet. Wie wirken sich Kursschwankungen auf das Gemüt der AnlegerInnen aus? Und wie lassen sich vorschnelle Entscheidungen und Handlungen verhindern?

Eine sehr spannende Frage. Unsere Reaktionen auf Kursschwankungen sind höchst individuell und dazu auch noch abhängig von der Tagesverfassung. Ob und wie stark wir auf Wertänderungen reagieren, hat auch damit zu tun, wie fit wir gerade sind. Sind wir gestresst, müde oder hungrig, ist die Reaktion meist stärker als in einem ausgeruhten, entspannten Zustand. Daher rate ich stets dazu, sich für Anlageentscheidungen bewusst Zeit zu nehmen. Zwischen Arbeitsterminen oder am Abend nach einem anstrengenden Tag sind selten gute Zeitfenster.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist unsere Erwartungshaltung. Nehmen wir das Beispiel Überraschungsparty. Egal, wie Sie zu einer Überraschungsparty stehen, wenn jemand Ihnen diese vorab verrät, wird Ihre emotionale Erregung zum Zeitpunkt der Party geringer sein, als wenn Sie tatsächlich überrascht worden wären. So ist es auch bei der Geldanlage. Wer sich mit möglichen Wertveränderungen des eigenen Portfolios im Detail befasst, verschiedene Szenarien und deren Konsequenzen durchdenkt, wird bei Wertänderungen weniger intensiv reagieren – da schon einmal gedanklich erlebt. Ein weiterer Vorteil dieser Technik: Sie finden wahrscheinlicher eine Anlagestrategie, die zu Ihrer Risikobereitschaft passt.

Welche typischen Anlegerfallen gibt es und wie kann sich der/die AnlegerIn davor schützen?

Neben der bereits genannten Zieldefinition möchte ich 3 häufige Denkfallen aufzeigen:

Denkfehler 1: Das „beste“, das „richtige“ Wertpapier

Täglich kommen neue Wertpapiere und Anlagemöglichkeiten hinzu. Wie soll man hier das „richtige“ Investment finden? Gerade zu Beginn investieren wir viel Zeit, um DAS BESTE Investment zu finden. Eine erfolglose Suche, schließlich können wir erst im Rückblick beurteilen, welches Investment sich wie gut entwickelt hat. Auch hier bewährt sich die Strategie der kleinen Schritte. Starten Sie mit breiten Produkten von bekannten Anbietern mit hoher Reputation. Damit erzielen Sie nicht den größten Gewinn, aber mehr, als wenn Ihr Geld weiterhin am Sparbuch auf das perfekte Investment wartet. Mit der Zeit steigt Ihre Erfahrung und Ihr Wissen. Geldanlage ist keine Einmalentscheidung.

Denkfehler 2: Ist jetzt der „richtige“, der „günstige“ Zeitpunkt?

Ob der aktuelle Moment richtig und günstig ist, wissen wir nur im Rückblick. Aktuell hohe Kurswerte mit ersten Rückschlägen in vielen Anlageklassen verleiten zu einer abwartenden Haltung. Können die Märkte weiter steigen? Ja. Können sie morgen tief fallen? Ja. Jeder, der Ihnen erklärt, dass entweder das eine oder das andere eintreten wird, erzählt Ihnen seine/ihre Fiktion. Faktisch weiß keiner, was die Zukunft bringt. Meine Empfehlung: Starten Sie jetzt und investieren Sie in Schritten.

Denkfehler 3: Jetzt habe ich den Dreh raus!

Gerade nach so starken Börsenjahren kann schnell die Idee entstehen, dass man nun die perfekte Anlage- oder Trading-Strategie entwickelt hat. Der Haken bei der Sache: Wir überschätzen unseren Einfluss auf das Ergebnis der Geldanlage. Ob Gewinn oder Verlust, beides ist Ergebnis aus der Summe unserer Entscheidungen plus den Faktor Zufall – also Glück oder Pech. So können wir glücklich mit einer schlechten Entscheidung zu mehr Geld kommen oder auch mit einer guten Entscheidung und Pech Geld verlieren. Wer lernen möchte, ist daher gut beraten, nicht vom Ergebnis auf die Qualität der Entscheidung und Strategie zu schließen. Ich empfehle daher: Berücksichtigen Sie bei Ihren Entscheidungen den Faktor Zufall.

Mag. Birgit Bruckner, MSc, CIIA ist selbstständige Beraterin und Trainerin bei elementb. Sie ist Diplompsychologin mit 7-jähriger Finanzmarkterfahrung in unterschiedlichen Bereichen (Wertpapierhandel, Asset Management, Family Office). Sie ist geprüfte Börsenhändlerin (Xetra) und diplomierte Analystin (CEFA, CIIA).

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