Was früher Human-Resource-Management genannt wurde, heißt heute People Management bzw. Employee Management. Dahinter steckt ein bedeutender Wertewandel, der auch schon längst überfällig war. Heute steht nicht die Ressource Arbeitskraft, sondern endlich der Mensch wieder im Mittelpunkt des Interesses. Im Zeitalter digitaler Unternehmenskulturen hat ein neues Bewusstsein die Führung übernommen: Ein digital global vernetztes Wir- und Verantwortungsgefühl ist entstanden, das uns alle näher zusammenrücken hat lassen.

Profiling-Techniken spielen im Zeitalter digitaler Unternehmenskulturen dabei eine zentrale Rolle – eine dreifache:

  1. Bei der Aufnahme, Integration und Weiterentwicklung neuer Kollegen und Kolleginnen, die optimal in die Unternehmenskultur passen sollen.
  2. Bei der maßgeschneiderten internen Kommunikation in Social Enterprise Networks in Unternehmen, bei denen die laufende Veränderung die Norm ist.
  3. Bei der externen Kommunikation in Form von Stakeholder Experience Management, um jeder Interessengruppe mit ihren Wünschen und Sorgen optimal gerecht werden zu können.

Profiling bedeutet in diesem Zusammenhang einfach, sich wirklich intensiv für den einzelnen Menschen zu interessieren. Und das hat auch ganz handfeste wirtschaftliche Auswirkungen: Denn jedes Unternehmen – sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich – muss, um Erfolg zu haben, Menschen intern und extern interessieren, motivieren und begeistern können. Um dieses Ziel zu erreichen, geht man im Profiling so vor, dass man den einzelnen Menschen so genau wie möglich kennenlernt – und zwar in 2 Hauptbereichen: dem Einstellungsprofil und dem Persönlichkeitsprofil.

  • Das Einstellungsprofil gibt Auskunft über die Aspekte, die einer Person bei einem bestimmten Thema (Job, Produkt oder Dienstleistung) besonders wichtig sind.
  • Das Persönlichkeitsprofil beschreibt die zentralen Charakterzüge eines Menschen.

Beides zusammen bildet die Grundlage dafür, ob die jeweilige Person und der Job, das Produkt oder die Dienstleistung wirklich zusammenpassen. Diese beiden Profiling-Bereiche sind dann auch die Basis für die Konzeption der Kommunikation mit dieser Person, und zwar sowohl inhaltlich (z.B. verwendete Argumente) als auch formal (z.B. verwendeter Sprachstil, grafisches Design etc.).

Digitale Unternehmenskulturen und digitale Führung sind eine Reaktion auf eine veränderte Art des Umgangs und der Kommunikation der Menschen im Zeitalter global vernetzter sowie digital beschleunigter- Informations- und Angebotsüberflutung. Wir leben heute in einer VUCA-Welt (volatility: Unbeständigkeit; uncertainty: Unsicherheit; complexity: Komplexität; und ambiguity: Mehrdeutigkeit). Eine Antwort digitaler Führung darauf ist das VOPA-Modell: Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität. Dies stellt gleichzeitig heute eine Erwartung sowohl der MitarbeiterInnen als auch der Kunden und Kundinnen an ein attraktives Unternehmen dar.

Begriffe wie Sharing Economy, Instant Gratification Society und Corporate Social Responsibility zeigen sehr deutlich die Richtung des Wertewandels in einer digital vernetzten und beschleunigten Welt auf und umreißen die neuen Kontextbedingungen, unter denen heute von „Caring Companies“ und „Fluiden Unternehmen“ wirtschaftlich erfolgreich gehandelt werden kann:

  • Acceleration of decisions = real-time society = acceleration of escalations
  • Decrease of attention span = attention economy
  • Decrease of tolerance and patience
  • Increase of emotion based decisions
  • Social media induced pressure for perfectionism
  • Shadow Tasking (Vermischung von Arbeits- und Privatleben)
  • Lifelogging, Self Tracking, Quantified Self
  • Open/User Innovation
  • Internalisierung von Externalitäten (z.B. CSR – Corporate Social Responsibility)
  • Design Thinking
  • Agile Projektmanagement-Methoden wie Scrum und Kanban

Das veränderte digitale Mindset ist kundenzentriert, hierarchiefrei, entscheidungsfähig, netzwerkbasiert und umsetzungsstark mit einer Balance zwischen kreativem und effizienzgetriebenem Handeln (Ambidexterous Organizations: gleichzeitig forschen [Exploration] und optimieren [Exploitation]).

Im Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft und Handel (GDI IMPULS, Nr. 3, 2016) werden die Methoden des Liquid Leadership folgendermaßen beschrieben:

  • von Perfektion zu Schnelligkeit
  • vom Management zu Leadership
  • vom Kommando zu Kooperation
  • von Anweisung zu Selbstverantwortung
  • von der Macht zu Motivation
  • von extrinsisch zu intrinsisch
  • von Hierarchie zu Netzwerk

Dimensionen des Persönlichkeitssystems

  1. Für alle Menschen gültige kollektive Ebene wie z.B. angeborene Reflexe und „negativity bias“ (automatisch Risiken schneller als Chancen wahrzunehmen)
  2. Genetisch determinierte Dimensionen wie Körpergröße, Körperbau, spezifische Konfiguration des zentralnervösen Nervensystems (z.B. Introversion vs. Extraversion)
  3. Frühkindlich festgelegte Dimensionen wie Struktur der basalen Motive (Anschluss-, Leistungs- und Machtmotiv) in Verbindung mit Neurohormonausschüttung
  4. Über die Sozialisation bestimmte Dimensionen wie Denkstil (z.B. Optimismus vs. Pessimismus) und Kontrollüberzeugung

Beispielhafte Anwendung des Persönlichkeitsindikators Kontrollüberzeugung im Profiling

Eine Person, die sich z.B. sehr genau an die üblichen Regeln und Vorgaben eines Bewerbungsschreibens in Form und Inhalt hält sowie die üblichen Formulierungen verwendet, ist tendenziell in die Persönlichkeitsdimensionen des external Kontrollüberzeugten (über die Sozialisation festgelegt) sowie Introvertierten (genetisch determiniert) einzureihen.

External Kontrollüberzeugte sind der meist unbewussten Überzeugung, dass es richtig und wichtig ist, sich sozial erwünscht zu verhalten, da sie in ihrer Autobiografie mehrheitlich mit Entscheidungen und Lebenssituationen konfrontiert waren, bei denen zentrale Entscheidungen für ihr Leben außerhalb ihres Einflussbereichs getroffen wurden. Sie tendieren dazu, sich im „vorauseilenden Gehorsam“ angepasst zu verhalten, und lassen sich von sozialem Druck leichter beeinflussen.

Internal Kontrollüberzeugte hingegen hatten in ihrem bisherigen Leben – oft durch Zufall – das Glück, bei zentralen Weichenstellungen in ihrer Autobiografie signifikante Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten zu erfahren. Sie fühlen sich selbstbestimmt. Sie gehen daher davon aus, auch zukünftige Entwicklungen, die sie betreffen, zumindest mitbestimmen zu können. Diese Personen sind für berufliche Positionen, bei denen Gestaltungswille, Führungskraft und Kreativität gefordert sind, besser geeignet.

Gastautor Univ.-Lektor Mag. Dr. Josef Sawetz ist Kommunikationspsychologe und Neurowissenschaftler.

Bildcredits: © bnenin-stock.adobe.com (Titel), © Dr. J. Sawetz (Porträt)