Im interkulturellen Management beeinflussen unterschiedliche Nationalitäten, Mentalitäten, Religionen und Sprachen meist unsichtbar das Verhalten von MitarbeiterInnen und Führungskräften. Wird die kulturelle Unterschiedlichkeit ignoriert oder werden Kulturen gar abgewertet, kann es zu Missverständnissen, Widerstand oder Illoyalität kommen. All das wirkt sich negativ auf den Unternehmenserfolg aus.

Es war einer dieser Abende, an dem es nicht leicht war, ein Taxi zu bekommen. Die Stadt schien im Verkehr unterzugehen. Ich stand mit Deniz, meinem Arbeitskollegen, auf der Straße. Wir hatten die letzten Stunden beim Abendessen intensiv diskutiert. Wir verabschiedeten uns mit einer herzlichen Umarmung, als das Taxi endlich da war. Ich fiel erschöpft auf die Rückbank.

Im Stau ließ ich den Abend und die stressreichen Tage zuvor Revue passieren: Der Geschäftsführer unserer Ländergesellschaft hatte überraschend gekündigt. Die MitarbeiterInnen waren extrem verunsichert und aufgebracht. Die Gerüchteküche brodelte. Dennoch gelang es mir in wenigen Tagen – gemeinsam mit dem lokalen Management – wieder für Optimismus zu sorgen. Dabei war ich von der ausgesprochenen Herzlichkeit angetan. Nach den unzähligen Meetings der letzten Tage hatte ich das Gefühl, vollständig im Team der Führungskräfte akzeptiert zu sein. Insbesondere zu Deniz hatte ich ein beinahe kumpelhaftes Verhältnis aufgebaut.

Später in meinem Hotel schlief ich beruhigt ein. Ich hatte ja nun einen Vertrauensmann vor Ort. Gemeinsam würden wir die Zeit bis zur Bestellung der neuen Geschäftsführung gut meistern. Am folgenden Tag flog ich heim. Am nächsten Morgen schon rief mich Deniz am Mobiltelefon an. Er kündigte. Unser ehemaliger Geschäftsführer hätte ihm ein attraktives Jobangebot gemacht.

Wie war das nur möglich?
Was hatte ich übersehen?

Die Monate danach zwangen mich zur Analyse. Heute ist mir klar, was ich damals falsch eingeschätzt hatte: Ich war verleitet, das Verhalten von KollegInnen und MitarbeiterInnen im vertrauten österreichischen Kontext zu interpretieren. Tatsächlich agierte ich aber in einer anderen Kultur.

In einer High-Kontext-Kultur (1) sind Gastfreundschaft und Höflichkeit unumgänglich. Daher wurden mir diese auch selbstverständlich entgegenbracht. Eine polychrome Kultur (1) bewertet eine langjährige persönliche Beziehung tendenziell wichtiger als die Bindung zu einem Konzern, was die Loyalität zum Ex-Chef erklärt. Eine große Machtdistanz (2) bedeutet, dass Vorgesetzte mit hoher Selbstverständlichkeit akzeptiert werden. Meine Funktion verschaffte mir also automatisch Macht. Eine hohe Unsicherheitsvermeidung (2) attestiert, dass ungewisse Situationen höheren Stress auslösen als bei uns. In diesem Kontext war die Situation, die ich im Unternehmen vorfand, normal. Ein indirekter Kommunikationsstil (1) verschleiert tendenziell echte Meinungen und Intentionen. Was ich als Offenheit und Akzeptanz wahrgenommen hatte, war also nicht die ganze Wahrheit.

Diese Analyse entlang einer kleinen Auswahl von Kulturdimensionen beleuchtet eindeutige Unterschiede in Denkstruktur, Handlungsmustern, Werten und Kommunikationsstil. Im Umgang mit Menschen aus anderen Ländern hat jede/-r von uns schon solche Andersartigkeit erlebt. Diese als Verschiedenheit zu verstehen, bedeutet, die Regeln und Normen der eigenen Kultur nicht als Maßstab anzulegen. Das ist der erste Schritt zum Aufbau interkultureller Kompetenz.

Es scheint naheliegend, dass Mitarbeiterführung im internationalen Bereich herausfordernd sein kann. Wir können sie aber erlernen. Dabei ist es gar nicht so wichtig, möglichst viele Sprachen zu beherrschen. Wichtiger ist, sich vor Augen zu halten, dass jeder Mensch das Produkt der Sozialisation in seiner Kultur ist, aus der niemand ausbrechen kann. Grundlagenwissen über die kulturellen Strukturen und Eigenschaften helfen, Muster zu erkennen und Signale zu dekodieren. So kann man Ursachen für Konflikte und Missverständnisse erkennen und sie gegebenenfalls beseitigen.

Auch in meinem Fall hätte mir mehr interkulturelle Kompetenz geholfen, die Lage besser einzuschätzen. Ich hätte Maßnahmen einleiten können, um die Fluktuation mit allen negativen Begleiterscheinungen niedrig zu halten. Das hätte dem Unternehmen Geld und mir Nerven erspart.

WIFI Management
Forum Seminar
Interkulturelle Führungskompetenz

Gastautor Mag. Dominik Lindner hat langjährige Erfahrung im Internationalen Management und ist Experte für Interkulturelles Management in den unterschiedlichsten Ländern. Seit seinem Studium beschäftigen ihn die Herausforderungen wirksamer Führung im interkulturellen Kontext. Diese durfte er auch in vielen Jahren Praxis selbst meistern. Seit 2017 ist er Partner in einer Unternehmensberatung spezialisiert auf Geschäftsmodellentwicklung.

Bildcredits: © pressmaster – stock.adobe.com (Titel), © Michael Marek (Porträt)

(1) nach Edward T. Hall

(2) nach Geert Hofstede