Die fortschreitende Digitalisierung und sich damit wandelnde Job-Profile, die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit und die teilweise sehr hohen Ansprüche der neuen Generationen – das sind nur einige der Entwicklungen, die auch den Prozess der Personalsuche beeinflussen. Mag. Thomas Zobl, Organisationsberater und Trainer, u.a. im WIFI Management Forum, verrät, welche Trends die Branche in diesem Jahr besonders beschäftigen werden.

Qualifizierungskluft weitet sich aus

Durch die Digitalisierung längst in Gang gesetzt, spitzt sich die Lage weiter zu: Hochqualifizierte Jobs werden immer wichtiger. Zugleich sind sie immer schwerer zu besetzen. Für jene, die weniger gut ausgebildet sind, wird es hingegen immer herausfordernder, einen passenden Job zu finden. Eine 2017 durchgeführte Studie des Instituts für Höhere Studien verdeutlicht die Größenordnung: Während die Studienautoren nur 9 % der Jobs insgesamt durch die Digitalisierung in Gefahr sehen, werden mehr als 50 % der Stellen für Hilfsarbeiter/-innen und Handwerker/-innen als gefährdet eingestuft. Zobl: „Gezielt in Qualifizierungsmaßnahmen zu investieren, wird damit so bedeutend wie nie zuvor. Unternehmen müssen Weiterbildung für bestehende Mitarbeiter/-innen fördern sowie Bildungsinitiativen für zukünftige Jobanwärter/-innen setzen.“

Aktivere Ansprache

Bloß Stellenanzeigen zu schalten und darauf zu warten, dass Bewerbungen eintreffen, gehört der Vergangenheit an. Laut Zobl findet hier ein deutlicher Wandel in der Ansprache statt: „Die Firma bewirbt sich bei qualifizierten Personen und nicht umgekehrt“, so der Experte. Egal, ob dabei die vielfältigen Möglichkeiten der Sozialen Medien genutzt werden oder ob auf Messen und Co. der Kontakt zu potenziellen Kandidaten/-innen gesucht wird – das Recruiting muss verstärkt auf Marketingmaßnahmen Bedacht nehmen und aktiv auf die Bewerber/-innen zugehen. Eine Entwicklung, die vor allem dem Zeitgeist der Millennials entspricht, wie eine von Xing beauftragte Studie zeigt: Während insgesamt 60 % der Jobsuchenden gegenüber der aktiven Ansprache durch Recruiter/-innen offen sind, wünschen sich das von den Millennials bereits knapp drei Viertel.

Von Beginn an auf Augenhöhe

In Bewerbungsgesprächen war bisher mitunter ein gewisses Gefälle spürbar. Zukünftig trifft man sich schon beim ersten Gespräch auf Augenhöhe. Die Begegnung findet dabei partnerschaftlich statt und nimmt Rücksicht auf die Bedürfnisse des/der anderen. Von Beginn an wird dabei die Möglichkeit der Mitbestimmung signalisiert. Unternehmen sind zudem gefordert, mehr über sich selbst zu erzählen, um so die Attraktivität gegenüber den Bewerbern/-innen zu erhöhen. Das Bemühen darf jedoch nicht mit dem Recruiting-Prozess enden. Ausschlaggebend wird sein, auch in der Folge laufend in die Mitarbeiterbindung zu investieren, um auch weiterhin attraktiv zu bleiben. Insbesondere im Zusammenhang mit den jüngeren Generationen ein Muss. Denn: „Die Bereitschaft, einen Job aufzugeben, wenn etwas nicht passt, ist in der Generation Y um ein Vielfaches höher als in jeder anderen Gruppe“, so Zobl.

Technik unterstützt, ergänzt – und ersetzt

Neue Technologien verändern auch die Verfahren im Recruiting-Prozess. So werden sowohl mobile Lösungen als auch spezielle Apps und eigens entwickelte Softwareprogramme zunehmend eingesetzt werden. Bereits heute können Algorithmen Bewerbungsunterlagen eigenständig vorselektieren. Die Apps Switch oder Hokify sind wiederum Beispiele für bereits im Einsatz befindliche mobile Job-Plattformen, die, nach einem ähnlichen Prinzip wie die beliebte Dating-App Tinder, Unternehmen und Jobsuchende miteinander verbinden. Bei so genannten Chatbots wird das Erstgespräch, das z. B. via Chat stattfindet, überhaupt von einer Software abgewickelt. Solche Methoden und vor allem mobile Lösungen bringen dabei nicht nur dem Unternehmen Vorteile, sondern stoßen auch bei den Bewerbern/-innen auf Zustimmung. Die jährlich von der Universität Bamberg durchgeführte Studie „Recruiting-Trends“ zeigt: Schon 6 von 10 Kandidaten/-innen finden es gut, wenn Unternehmen für die Bewerbung Apps für mobile Endgeräte anbieten. Fast die Hälfte (46,9 %) präferiert eine mobile Bewerbung bereits gegenüber einer herkömmlichen.

Kürzere Prozesse, neue Instrumente

Ein weiterer Trend, der sich laut Zobl zeigt, ist, langwierige Prozesse in der Bewerberselektion wieder zu verkürzen. So kommt es z.B. zu einer Abkehr vom aufwändigen Assessment-Center und vermehrt dazu, ebenso erfolgversprechende Instrumente wie zum Beispiel situative Fragen in zeit- und kostengünstigeren Formaten wie Hearings oder Gesprächen einzusetzen. Zudem werden auch neue Instrumente, die bisher nicht unbedingt im Recruiting zum Einsatz kamen, als Entscheidungsgrundlage herangezogen. Mitunter wird der/die Bewerber/-in nach dem Erstkontakt nicht erst zu einem ausführlichen Gespräch geladen, sondern direkt für eine Projektarbeit engagiert. Die temporäre Zusammenarbeit entscheidet über den weiteren Verlauf. „Wichtig ist, als Unternehmen stets mit der Zeit zu gehen und den Recruiting-Prozess zielgruppenadäquater auszurichten“, betont Zobl. „Doch ganz gleich, welches Instrument dabei eingesetzt wird – die Wertschätzung und der direkte persönliche Kontakt sollten immer im Fokus stehen.“

Mag. Thomas Zobl ist selbstständiger Berater, Trainer und Coach mit langjähriger Führungserfahrung in Konzernen, darunter mehr als 15 Jahre als Leiter für Personalentwicklung und Recruiting verantwortlich

 

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