Mit dem Schuleintritt der Kinder heißt es auch für Eltern: Alles wieder von vorne. Erst übt man mit den Kleinen fleißig das Lesen und die Lernwörter, dann das Einmaleins und Bildergeschichten und irgendwann sieht man sich mit Pythagoras, Winkelsymmetralen und Aggregatzuständen konfrontiert. Hausübungen, Tests, Wiederholungen, Schularbeiten, Projektarbeiten, Referate: Schule bedeutet in vielen Familien nachmittags, abends und nicht selten auch an Wochenenden lernen, üben und abprüfen. Doch wie viel Unterstützung brauchen Kinder eigentlich? Und wie sieht die optimale Unterstützung aus? Wir haben bei unserem Bildungsexperten Franz Stadler nachgefragt!

Laut einer Umfrage der AK unterstützen fast zwei Drittel aller Eltern ihre Kinder beim Lernen. Auf der einen Seite möchte man als Elternteil sein Kind unterstützen, ist bekannt, dass ein Kind lernen sollte, alleine zu lernen. Was empfehlen Sie Eltern, die in dieser Zwickmühle stecken?

Stadler: Es gilt den Spagat zwischen Unterstützung und Zurückhaltung zu schaffen. Das ist eine Gratwanderung und nicht einfach. Doch es ist wichtig, dass Kinder ihren individuellen Lernprozess entwickeln können. Auf keinen Fall sollten Eltern versuchen die Rolle von Lehrern oder Lerntrainern zu übernehmen. Die Lernunterstützung sollte demnach schrittweise reduziert werden, denn Kinder müssen die Möglichkeit haben ihr Lernen selbst zu entfalten. Dabei werden natürlich auch „Fehler“ passieren. Das ist auch gut und wichtig so. Aus Fehlern kann man lernen und das stellt wiederum eine wertvolle Erfahrung für das weitere Leben dar. Menschen, die heute erfolgreich sind, haben immer aus ihren Fehlern gelernt.

Sehr verbreitet ist laut der AK-Umfrage die elterliche Unterstützung bei Volksschulkindern. Mit ihnen lernen bzw. üben die Hälfte aller Eltern fast täglich. Doch wie sieht die optimale Unterstützung bei älteren Kindern bzw. Jugendlichen aus?

Stadler: Man könnte pauschal sagen: Weniger ist mehr. Eltern sollten mit ihrem Kind besprechen ob alle Aufgaben und Prüfungsvorbereitungen erledigt sind und dies auch regelmäßig kontrollieren. Allerdings sollten sie keinesfalls die Arbeit für ihre Kinder erledigen. Selbstverständlich hört sich ein Referat besser an, wenn bei der Aufbereitung ein erfahrener Elternteil mitgeholfen hat. Aber wo bleibt dann der Lernerfolg für das Kind?
Ich rate auch davon ab, seinem Kind die Fehler bei den Hausübungen auszubessern. Welchen Anreiz hat ein junger Mensch dann selbst gute Leistungen zu erbringen, wenn es die Mama oder der Papa in letzter Konsequenz sowieso richtet? Außerdem ist es der Lehrerin oder dem Lehrer dann nicht möglich zu erkennen, welche Schwierigkeiten das Kind mit dem Lernstoff hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich gerne von einer lieben Bekannten erzählen, die in der Steiermark eine Alm betreibt. Ihre jüngste Tochter besucht eine BHS in der Stadt, wo sie im Internat wohnt. Dort muss sie ihr Lernen selbst organisieren, da die Mutter am Wochenende keine Zeit hat eventuelle Lernlücken zu schließen. Meine Bekannte ist sehr zuversichtlich und traut das ihrer Tochter auch zu. Sie hat bereits erwachsene Kinder, die ihre Schullaufbahn bzw. ihren Ausbildungsweg erfolgreich beschritten haben. In diesem Sinne agiert meine Bekannte nicht als Lerntrainerin sondern als Haltungstrainerin. Sie steht ihrer Tochter als Vorbild zur Verfügung und vermittelt ihr eine sehr gesunde Einstellung zur Schule.

Sie haben es bereits angesprochen. „Eigenverantwortung“ ist ein großes Schlagwort in diesem Zusammenhang. Was möchten Sie Eltern auf den Weg ihre Kinder in die Eigenverantwortung zu entlassen, mitgeben?

Stadler: Wenn es um die Entwicklung des individuellen Lernprozesses ihres Kindes geht, haben Eltern ausreichend Erfahrung. Man denke nur, dass das Kind unter ihrer Obhut zu gehen und sprechen gelernt hat oder soziale Kompetenzen erworben hat. Das Kind wiederum ist beim Gehen lernen oft gestürzt und hat sich sogar möglicherweise verletzt und geweint. Durch seine Willenskraft hat es aber nicht aufgegeben und schlussendlich zu gehen gelernt. Vielleicht sollten wir weniger versuchen unsere Kinder zu motivieren, sondern sie daran erinnern mit welcher Entschlossenheit sie laufen gelernt haben.
Und als Eltern ist es bestimmt auch wichtig, seinen eigenen Umgang mit „Fehlern“ zu hinterfragen. Denn Fehler passieren, gerade auf dem Weg in ein eigenverantwortliches Leben. Wenn wir lernen unsere Fehler als Treppen wahrzunehmen, die wir dazu nutzen können, um in unserem Leben weiterzukommen, ist schon viel geschehen.

Welche Rolle spielen Lehrer in diesem Zusammenhang bzw. das Verhältnis Lehrer-Schüler-Eltern? Wieviel an „Eltern“ brauchen Lehrer?

Stadler: Lehrer sind generell an einer guten Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule sehr interessiert. Von einer offenen und wertschätzenden Kommunikation profitieren alle Seiten.
Und diese Kommunikation beginnt, wenn man es so will, bereits zu Hause beim Durchsehen der Hausübungen und der Entscheidung korrigiere ich die Fehler oder nicht.

Wie können Lehrer dazu beitragen, dass das Lernen zu Hause erleichtert wird?

Stadler: Wichtig ist, dass Hausaufgaben und Arbeitsaufträge so gestaltet werden, dass sie von den Schülerinnen und Schülern auch bewältigt werden können.
Bei Hausaufgaben geht es auch um eine Leistungserbringung und eine Leistungsbeurteilung. In der Physik ist der Begriff Leistung als Arbeit pro Zeiteinheit definiert. Wie viel Zeit benötigt daher der Schüler um die entsprechende Leistung der Hausaufgabe erbringen zu können? – Wenn der Zeitaufwand kontinuierlich zu hoch ist, kann man das als Elternteil beispielsweise bei einem Elternsprechtag offen ansprechen.

Lehrer können die Eltern auch unterstützen, indem sie diese als Partner in die Lernprozesse einbinden. Auch hier gilt es die Rollenverteilung klar zu definieren. Die Pädagogik, Lerndidaktik, das Vermitteln von Wissen, Fertigkeiten und die Kompetenzentwicklung ist klare Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer. Andererseits ist es auch wichtig, dass Eltern für Lehrer greifbar sind und bereit sind sich einzubringen. Allerdings mit Bedacht auf die jeweiligen Rollen.

Eine positive Haltung zum Thema Lernen ist immer auch „hausgemacht“. Wenn Eltern in ihrem Alltag mit Freude lernen, dann überträgt sich das auch auf die Kinder.
Wenn Eltern mit ihren Kindern zu Hause lernen und dabei selbst unter Stress stehen, ist das nicht förderlich.

Was kann die Bildungsberatung leisten, um Eltern zu unterstützen bzw. entlastend zu wirken?

Stadler: Die Bildungsberatung des WIFI Wien unterstützt professionell den Lernprozess durch Lernberatung und Lernorganisation.
In der Lernberatung bekommen Schüler durch einen Test genaue Informationen zu ihrem derzeitigen Lernverhalten. Gemeinsam werden dann darauf aufbauend Strategien erarbeitet, um dieses Lernverhalten zu verbessern. Die erarbeiteten fördernden Lernmethoden geben in Folge mehr Sicherheit beim Lernen.
In der Lernorganisation stellen wir fest, welcher Lerntyp ein Schüler ist und unterstützen die besten Lerntechniken zu finden. Aus meinem Berufsalltag kann ich sagen: Schüler, die ihre Lernorganisation optimiert haben, haben auch wieder mehr Freude am Lernen. Und das ist natürlich nicht nur schön für die Schüler sondern freut auch die Eltern.

 

Weiterführender Link: https://media.arbeiterkammer.at/wien/PDF/studien/bildung/Nachhilfe_in_Oesterreich_2017.pdf

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