Gerade in der heutigen Zeit, die durch Ambivalenz, Komplexität und Unsicherheit geprägt ist, bedarf es neben einer zielorientierten Planung auch oft an Ideen, die ad hoc gefunden werden müssen. Gastautor Mag. Anton Six weiß, wie Spontanität, Improvisation und Kreativität gelingen.

„Houston wir haben ein Problem.“ So ähnlich ertönte damals die Nachricht aus der Raumfähre des Fluges Apollo 13 in der Leitzentrale der NASA. Dieser Flug, Teilprojekt eines großen Raumfahrtprogrammes, war durch mehrere Pannen gekennzeichnet. Unter anderem begannen die Lebenserhaltungssysteme der Raumkapsel zu versagen, die Raumfahrer drohten zu ersticken. Eine schnelle Umgehungslösung in der Leitzentrale musste gefunden werden. Ein Vorgesetzter leerte aus einem Korb Utensilien, die auch auf der Raumkapsel vorhanden waren, auf einen Tisch. Die anwesenden Techniker begannen umgehend zu improvisieren, um daraus eine spontane aber treffende Lösung anzufertigen. Auf Anweisung der Leitzentrale bastelten die Raumfahrer sodann aus Klebeband, Plastiktüten, Flugplänen und einer Socke einen lebenserhaltenden Adapter. Obwohl in Projekten versucht wird, die Risiken in einem Vorhaben möglichst vorab zu antizipieren, so sind wir oft mit einer Situation konfrontiert, die eine rasche Lösung benötigt. Was sind nun die Grundlagen, das eine solche entstehen kann?

Unter Druck eine gute Lösung zu finden, erfordert zunächst spontan zu sein. Emotionale Einstellungen, wie Versagensängste, eingelebte Routinen und eingefahrene Denkmuster lassen oft zögern, ungezwungen aus sich herauszutreten. Bereits die Verletzung eines einfachen Musters lässt unser Gehirn laut aufschreien. Er trinkt seinen Kaffee mit Milch und …? Wir erwarten Zucker. Das schreibt sogar im Moment des Lesens unser vorausblickendes Denken vor. Phillip Holcomb und John Kounios legten in einer klinischen Studie Probanden unter anderem den Satz „Er trinkt seinen Kaffee mit Milch und Hund“ vor und maßen die EEG-Reaktionen (Elektroenzephalografie) der Gehirne der Probanden. Je abweichender das Muster verletzt wurde, desto lauter protestierten diese.

Spontan zu sein bedeutet, gerade in dem Moment, wo es darauf ankommt, die richtige Einstellung an den Tag zu legen und nicht zu verharren. Kann ein Unternehmen spontan sein? Nein, es sind die MitarbeiterInnen, die auf einen Umstand hin spontan reagieren. Lebt das Unternehmen aber in festgefahrenen Routinen, sind im Unternehmen Fehler tabu usw. so werden es die MitarbeiterInnen tunlichst unterlassen, spontan zu reagieren. Gerade in der schnelllebigen Projektwelt kann diese Einstellung fatale Folgen nach sich ziehen.

Der Zeitdruck kann es zudem erforderlich machen, dass wir improvisieren müssen. Eine schnelle Umgehungslösung ist zu finden. Wegweisende Anregungen zu einem gelingenden Improvisieren in der Gruppe erhalten wir unter anderem aus dem Improvisationstheater. Erste Ursprünge lassen sich bis in das antike Griechenland zurückverfolgen, die heutigen Formen hingegen wurden vorrangig durch den britischen Dramaturgen und Schauspiellehrer Keith Johnstone beeinflusst. Ein Improvisationstheater zeichnet sich durch Szenen ohne einen geschriebenen Dialog aus. Das Stück wird, oft einer Vorgabe aus dem Publikum und sodann der eigenen Kreativität folgend, spontan gespielt. Der Ablauf basiert aber auf klar festgelegten und einstudierten Regeln. Diese helfen uns genauso, wenn wir in einem Projekt, zum Beispiel im Rahmen eines Brainstormings, eine schnelle Lösung finden müssen.

Zu diesen Regeln zählen, unter anderen:
» Wir stehen nun auf einer Bühne, alles ist möglich
» Sei achtsam und höre aufmerksam zu
» Deine Aufgabe ist es, dein Gegenüber mit deinen Gedanken zu inspirieren
» Verstecke dich nicht, aber dränge dich auch nicht auf Kosten deines Gegenübers in den Vordergrund, beides wird dem Publikum nicht gefallen
» Verwende keine Killerphrasen
» Traue dich, zu scheitern

Der Wert einer schnell gefundenen Lösung hängt letztlich vom Grad ihrer Originalität ab. Diese wird bestimmt durch unser eigenes Potential, aus dem Gewohnten auszubrechen, Grenzen zu überwinden und das Undenkbare zu tun, ganz einfach kreativ zu sein. Kreativität ist eine Kraft, die uns ein Leben lang begleitet, aber über die Jahre hinweg zu schwinden droht. Aufbauend auf einem Kreativitätstest, den er für die NASA entwickelte, führte der amerikanische Psychologe George Land eine interessante Langzeitstudie durch. In der Regel erreichten lediglich zwei Prozent der Erwachsenen, die diesen Test absolvierten, die Einstufung „hoch kreativ“. Wie sah dies aber bei fünfjährigen Kindern aus? Hier konnten rund 98 Prozent als „hoch kreativ“ eingestuft werden. Aufgrund von Folgeuntersuchungen konnte Land zeigen, dass unser kreatives Potential durch Schule, Ausbildung, Beruf usw. schleichend verloren geht. Dasselbe gilt für Projekte. Bereits mit der Planung eines Projektes beginnen wir einen blinden Fleck zu entwickeln, der unseren Blick über den Tellerrand sukzessive einschränkt.

Geht es darum, abgesehen vom eigenen Kreativitätspotential, schnell eine kreative Lösung zu finden, so kann man sich Methoden bedienen, die eingefahrene Denkmuster aufbrechen. Dazu zählen Techniken wie die Bisoziation, der phantastische Perspektivenwechsel oder die Arbeit mit Bildsymboliken und Analogien. Die Bisoziation verbindet Gedanken, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, zu einer neuen Idee. Folgendes Beispiel möchte ich zur Illustration anführen: Was hat ein Inkubator für Frühgeborene mit dem Geländewagen „Toyota 4Runner“ zu tun? Vordergründig gar nichts. Da aber in Entwicklungsländern mit Inkubatoren aus Amerika und Europa, aufgrund der technischen Tauglichkeit wie den klimatischen Bedingungen und der mangelnden Wartbarkeit wenig anzufangen war, kam der Bostoner Arzt Jonathan Rosen auf die Idee, diese Inkubatoren aus Bestandteilen des „Toyota 4Runners“ zu fertigen. So mag nun wohl auch ein Socken im Rahmen eines hochtechnisierten Raumfahrtprojektes keinen hohen Stellenwert einnehmen, aber genau in der richtigen Verbindung war er in diesem Projekt ein wesentlicher Bestandteil einer überlebensnotwendigen Lösung.

Und wie viele Socken haben Sie heute schon zweckentfremdet?

Gastautor Mag. Anton Six ist Berater, Lektor, Trainer für Kreativität und Künstler. Seine Schwerpunkte liegen in den Themen der kreativen Ideenfindung sowie in der Stärkung des kreativen Potenzials von Unternehmen als auch einzelnen Personen. Seine Workshops sind stets begleitet von kabarettistischen Untermalungen. Denn nur mit einer heiteren Einstellung sind wir in der Lage, die großartigen Ideen in unserem Leben zu finden.

 

WIFI Management Forum Seminar: Improvisieren in Projekten

Bildcredits: (c) Stock Rocket/Shutterstock.com, (c) Anton Six (Portrait)